Das KGV – Der Schlüssel zur Bewertung von Aktien?

Heute dreht sich alles um eine der bekanntesten fundamentalen Kennzahlen: das Kurs-Gewinn-Verhältnis, kurz KGV. Wir klären, was es misst, warum es ein erster Indikator sein kann, aber auch, warum es allein nie die ganze Wahrheit erzählt.

Um euch gleich ein Gefühl für die Bedeutung des KGVs zu geben, machen wir einen kleinen Ausflug in die Immobilienwelt.

Das KGV im Vergleich: Aktien und Immobilien

Stellt euch vor, ihr wollt eine Immobilie kaufen. Sie kostet 1 Million Euro und bringt euch jedes Jahr 50.000 Euro Miete ein. Ihr rechnet: 1.000.000 geteilt durch 50.000 ergibt 20. Das heißt, es dauert 20 Jahre, bis die Immobilie sich amortisiert – vorausgesetzt, die Mieten bleiben konstant. Dieses Verhältnis, „Kaufpreis zu Jahresmiete“, ist im Grunde das KGV auf dem Aktienmarkt.

Bei Aktien ist die Rechnung ähnlich: Der Aktienkurs entspricht dem Kaufpreis, und der Gewinn pro Aktie ist vergleichbar mit den Mieteinnahmen. Ein KGV von 20 bedeutet also, dass ihr 20 Euro zahlen müsst, um 1 Euro Jahresgewinn des Unternehmens zu kaufen. Doch, wie bei Immobilien, ist das nur die halbe Geschichte.

Das KGV als erster Indikator

Das KGV ist in der fundamentalen Analyse wie der erste Eindruck bei einem Date: Es liefert euch einen schnellen Eindruck über die Bewertung eines Unternehmens. Doch genauso, wie ihr nach dem ersten Blick mehr über die Persönlichkeit einer Person erfahren wollt, solltet ihr bei Aktien tiefer graben.

Ein niedriges KGV – sagen wir, unter 10 – könnte ein Schnäppchen signalisieren. Das Unternehmen ist im Verhältnis zu seinem Gewinn günstig bewertet. Aber warum? Vielleicht gibt es Probleme: sinkende Gewinne, schwächelnde Marktanteile oder regulatorische Risiken. Hier wird das KGV zur Einladung, weiter zu analysieren: Wie steht es um die Umsätze? Die Schulden? Das Wachstum?

Ein hohes KGV – über 30, 50 oder gar 100 – kann auf starke Wachstumserwartungen hindeuten. Anleger zahlen heute einen hohen Preis, weil sie an große Gewinne in der Zukunft glauben. Aber diese Erwartungen können auch in übertriebene Spekulationen münden. Hier ist das KGV der erste Hinweis darauf, dass ihr den Geschäftsplan und die Wachstumsraten genauer anschauen solltet.

Ein praktisches Beispiel: Coca-Cola vs. Tesla

Sehen wir uns zwei sehr unterschiedliche Unternehmen an: Coca-Cola und Tesla. Coca-Cola hatte in den letzten Jahren ein durchschnittliches KGV von etwa 20. Das ist typisch für ein etabliertes Unternehmen mit stabilen Gewinnen und einem berechenbaren Geschäftsmodell. Anleger wissen, was sie bekommen: regelmäßige Dividenden und ein stetiges, aber langsames Wachstum. Hier ist das KGV ein sinnvoller Maßstab, weil die Gewinne wenig schwanken.

Tesla hingegen erzählt eine andere Geschichte. In seiner Phase schnellen Wachstums (um 2020–2021) hatte Tesla ein KGV von über 1.000 – teilweise sogar kurzzeitig über 1.400. Warum? Weil Anleger davon ausgingen, dass Tesla in Zukunft massiv an Profitabilität zulegen würde. Tatsächlich begann Tesla in den folgenden Jahren, seine Gewinne zu steigern, und das KGV normalisierte sich in Richtung 50–100. Das zeigt: Ein hohes KGV kann gerechtfertigt sein, wenn die Erwartungen durch zukünftige Ergebnisse gedeckt werden.

Was, wenn kein KGV angegeben ist?

Hier ein häufiges Missverständnis: Wenn ein Unternehmen Verluste schreibt, wird kein KGV berechnet. Es ist schlichtweg nicht vorhanden – die Formel „Kurs geteilt durch Gewinn“ funktioniert nicht, wenn der Gewinn negativ ist. Das heißt aber nicht, dass das Unternehmen wertlos ist. Amazon beispielsweise hatte über Jahre hinweg keinen Gewinn, weil es in Wachstum und Expansion investierte. Anleger müssen dann andere Kennzahlen heranziehen, wie den Umsatz oder den Cashflow.

Das KGV zeigt hier seine Grenzen: Es eignet sich vor allem für Unternehmen mit stabilen Gewinnen. Für Start-ups, Wachstumsunternehmen oder Firmen in schwierigen Zeiten braucht ihr andere Bewertungsmaßstäbe.

Die Schwächen und der wahre Nutzen des KGVs

Das KGV ist wie ein Werkzeugkasten – nützlich, aber nicht universell. Es verrät euch etwas über die Bewertung eines Unternehmens, aber es verschweigt vieles:

  1. Wachstum: Das KGV berücksichtigt nicht, wie schnell ein Unternehmen wächst. Ein Unternehmen mit einem hohen KGV könnte ein starker Kandidat sein, wenn es seine Gewinne jedes Jahr um 50 % steigert.
  2. Schulden: Zwei Unternehmen mit dem gleichen KGV können unterschiedlich riskant sein, je nachdem, wie hoch ihre Schulden sind.
  3. Konjunkturzyklen: Zyklische Unternehmen wie Stahlhersteller oder Autobauer haben oft niedrige KGVs, wenn die Gewinne auf dem Höhepunkt sind – nur um später einzubrechen.

Ein gutes Beispiel: Der Investor Peter Lynch, ein Verfechter einfacher Kennzahlen, nutzte das KGV oft in Verbindung mit dem Wachstum des Gewinns, dem sogenannten PEG-Ratio (Price/Earnings to Growth). Das ist ein KGV, das das Wachstum mit einbezieht. Er sagte, dass ein niedrigeres KGV bei stark wachsenden Unternehmen ein echter Hinweis auf eine Unterbewertung sein kann.

Ich erinnere mich an einen jungen Investor, der mir stolz erzählte, er habe eine Aktie mit einem KGV von nur 5 gefunden. Es war ein Stahlunternehmen, das gerade hohe Gewinne schrieb. Ein Jahr später hatte sich der Kurs halbiert, weil der Stahlpreis gefallen war. Das zeigt: Ein niedriges KGV ist nicht automatisch ein Schnäppchen. Es ist ein Signal, tiefer zu schauen – aber nicht die letzte Antwort.

Euer Einstieg in die fundamentale Analyse

Das KGV ist ein erster Schritt, um den Wert einer Aktie zu beurteilen – wie ein Blick durchs Schlüsselloch, bevor ihr die Tür öffnet. Es hilft euch, Unternehmen miteinander zu vergleichen, aber es sollte immer in Verbindung mit anderen Kennzahlen betrachtet werden. Nutzt es als Startpunkt, stellt Fragen, und denkt daran: Keine Zahl ersetzt das Verstehen des Geschäftsmodells.

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